Karwendel

Die etwas andere Hausrunde.
World of Mountainbiking 07/2012 I Autor Harald Philipp

Karwendel – bei dem Namen fangen Martins Augen an zu leuchten. Die kleine Gebirgsgruppe nördlich von Innsbruck ist ein magischer Ort. Im Karwendel befindet man sich in einer anderen Welt. Trotz der Nähe zu München und Innsbruck gibt es hier noch richtige Einsamkeit. Gipfel, auf denen seit 20 Jahren kein Bergsteiger mehr stand und Täler, in denen es nichts gibt außer einem einzigen Singletrail.

Ein Grund für die Verlassenheit des Gebirges ist das für Kletterer ausgesprochen unsympathische Gestein. Auf die brüchigen Felswände wagen sich nur die verwegensten Alpinisten, denn allzu schnell fällt man hier zusammen mit seinem Griff aus der Wand. Auch Alpencrosser umfahren gerne die fiesen, gerölligen Uphillrampen und trauen sich nicht in die Steilabfahrten Richtung Inntal. Das Karwendel ist quasi das Mauerblümchen der Gebirge, und versteckt seine Schönheit sehr erfolgreich vor den Augen der Massen.

Das Martins Augen dennoch so leuchten, wenn er an das Karwendel denkt, lässt erahnen: Martin ist nicht normal. Martin Falkner trägt sein Rad gerne. Gerne auch mehrere Stunden lang, gerne auch durch Felswände und Schnee. In der Abfahrt wird er dann zur Bikegemse, fährt dort, wo andere nicht mehr angeseilt gehen wollen und zaubert sich talwärts. Martin ist mein bester Bikekumpel. Ich schätze, ich bin auch nicht ganz normal.

Auf dem losen Kalkgestein fühlen wir uns so wohl, wie als wären wir dort hinein geboren worden. Zwischen Scharnitz und dem Achensee kennen wir jede Steilstufe und Spitzkehre und haben jeden Gipfel zumindest probiert zu fahren. Und man kennt uns. An der Pfeishütte kommen wir nicht mehr vorbei, ohne auf den einen oder anderen Schnaps eingeladen zu werden. Ein gutes Geschäftsmodell, denn so wird aus einer schnellen Feierabendrunde ganz schnell eine Tour mit Hüttenübernachtung und verkaterter Abfahrt am nächsten morgen.

Im Karwendel kann man beobachten, wie sich Gemsenrudel zusammen rotten wenn ein Steinadler über ihnen fliegt. Schaut man über die andere Schulter, sieht man von oben auf Flugzeuge, die im Landeanflug auf den Innsbrucker Flughafen in das enge Inntal eintauchen. Kontrastreicher geht es nicht.

Nach einem intensiven Winter liegt immer noch meterhoch Schnee auf den Pfaden und Steigen. Das Mauerblümchen im Dornröschenschlaf. Ab Ende Juni öffnet sich das Karwendel wieder all jenen, die nicht ganz normal sind. Vielleicht sehen wir uns dort?